Intelligente Behälterverfolgung

(Gekürzter Auszug aus: „SAP Leonardo“ von Martin Elsner, Glenn González, Mark Raben, SAP Press – Rheinwerk Publishing, 2018. Text von Dr. Michael Stollberg)

 

Identifikation der Herausforderungen

Im ersten Prozessschritt werden die Autoteile (z. B. Sitzgestelle, Spiegel, Kabelleitungen etc.) bei den jeweiligen Lieferanten bestellt. Dies erfolgt auf Basis von Rahmenverträgen, sodass Schnellecke hier vor allem Abrufe vornimmt, also eine Nachbestellung laut Vertrag. Bei Ankunft einer Lieferung (zumeist per Lkw) wird im zweiten Schritt ein Qualitätscheck durchgeführt (Sichtcheck und Stichproben), die Ware wird für das interne Warenmanagement etikettiert und im Lager eingelagert. Für das Lagermanagement als drittem Prozessschritt ist neben dem Bestandsspiegel vor allem die Verweildauer im Lager relevant, da für einige Autoteile (vor allem für technische Komponenten) eine Verbaufrist gilt.

Die Bereitstellung fertiger Module (z. B. Sitze, Abgasanlagen, Mittelkonsolen etc.) durch Schnellecke an die Produktionslinien des Automobilherstellers erfolgt ebenfalls durch Abrufe auf Basis eines Rahmenvertrags. Bei Eingang eines solchen Abrufs werden im vierten Prozessschritt (Sequenzierung) die bestellten Module aus den Einzelteilen im Lager zusammengestellt und dann in spezielle Behälter für den Transport und die einfache Entnahme an den Produktionslinien verpackt. Diese JIS-Behälter werden mit sogenannten Rack-Listen versehen, die Inhalt und Bestimmungsort der Einzelteile aufführen. Im fünften Schritt werden sie per Lkw von Schnellecke zur Anlieferungszone des Automobilherstellers transportiert und dort gemäß der Rack-Liste an die entsprechende Produktionslinie zur sofortigen Verarbeitung gebracht (sechster Schritt: Line Feeding).

Im Explorations-Workshop wurde die Analyse der Prozessschritte in parallelen Arbeitsgruppen durchgeführt. Dabei wurden folgende zentrale Herausforderungen identifiziert:

  • Es besteht kein gesamtheitlicher Überblick über den JIS-Prozess.
  • Es gibt keine detaillierten Finanzdaten zum JIS-Geschäft.
  • Es gibt keine Informationen zum JIS-Behälter-Rundlauf außerhalb des eigenen Geländes.
  • Die manuelle Handhabung operativer Vorfälle (z. B. fehlende Lieferungen) ist aufwendig.

 

Optimierungspotenziale

Eine wesentliche Erkenntnis war, dass kein ganzheitlicher Überblick über den JIS-Logistikprozess von der Beschaffung über die Lagerhaltung hin zur Bedienung der Kundenabrufe verfügbar war, weder auf operativer Ebene (z. B. zur Klärung von Fragen wie  „Wie viele Abrufe stehen heute noch aus?“, „Reicht der Lagerbestand dafür?“, „Wann müssen welche Teile nachbestellt werden?“)  noch aus finanzieller Sicht („Wie viele Abrufe wurden heute/diese Woche/diesen Monat bedient?“, „Wie hoch sind die Einnahmen pro Abruf/Tag/Woche/Monat?“, „Welche Kosten sind entstanden, und was sind die Kostentreiber?“). Es existierten zwar IT-Systeme für die einzelnen operativen Prozessschritte, aber eine prozessübergreifende Kontrolle zur schnellen Beantwortung der hier aufgeführten Fragen war nicht möglich. Für die finanziellen Fragestellungen wurden entsprechende Berichte in aufwendiger manueller Arbeit erstellt, die zumeist mit signifikantem zeitlichem Verzug und ohne den gewünschten Detaillierungsgrad vorlagen.

Das größte Optimierungspotenzial wurde im Line Feeding und den direkt vorgelagerten Schritten (Sequenzierung, Transport) identifiziert. Es war lediglich bekannt, dass die JIS-Behälter für die Abrufe richtig bepackt und etikettiert wurden und das Gelände von Schnellecke verlassen haben, aber nicht, ob diese beim Automobilhersteller rechtzeitig angekommen und in der richtigen Reihenfolge an die jeweilige Produktionslinie gebracht wurden. Es gab auch eine signifikante Anzahl von Nachfragen und Beschwerden über fehlende Lieferungen, die durch Verwechslung auf dem Gelände des Automobilherstellers entstanden sind - worüber Schnellecke aber keine Kontrollmöglichkeit hatte.

Mit der Zielsetzung einer gesamtheitlichen und zukunftsweisenden Lösung für die identifizierten Herausforderungen wurde gemeinsam ein Konzept unter Nutzung der SAP-Leonardo-Technologien entwickelt. Für die Nachverfolgbarkeit wurden die JIS-Behälter mit IoT-Sensoren ausgestattet.

Dafür wurde ein Indoor Positioníng System (IPS) eingerichtet: In den relevanten physischen Zonen - insbesondere der Beladungszone bei Schnellecke sowie den Vorladebereichen und Produktionslinien beim Automobilhersteller - wurden jeweils IPS-Empfänger installiert. Jeder JIS-Behälter ist mit einem Funksender versehen, der sich an den IPS-Empfängern an- und abmelden kann. Damit kann die aktuelle Position und auch die Einhaltung der Sequenz in Echtzeit kontrolliert werden, womit die Nachverfolgbarkeit auch außerhalb des eigenen Firmengeländes möglich ist. 

 

SAP Cloud Platform als Basis

Für die Realisierung wurde die SAP Cloud Platform als Basis ausgewählt, da diese die Integration mit den Geschäftsprozessen ermöglicht und mit den vorhandenen Services die geeignete Grundlage für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie bietet. Die Positionsdaten der JIS-Behälter werden über die IoT-Services der SAP Cloud Platform aufgenommen, in einer SAP-HANA-Datenbank für die weitere Verarbeitung abgelegt und dort mit den Geschäftsdaten aus den existierenden IT-Systemen von Schnellecke verknüpft (Kundenabrufe und Lieferdaten aus  dem  SJS-System und Finanzdaten aus dem FI/CO-System). Diese Systeme sind über die Integrationsservices der SAP Cloud Platform angebunden.

Die geplanten Anwendungen werden auf der SAP Cloud Platform basierend auf der SAP-Leonardo-Lösung SAP Moving Assets (früher SAP Vehicle Insights) und der SAP Analytics Cloud implementiert. Das operative Dashboard visualisiert die aktuelle Position der JIS-Behälter in den Zonen des IPS und ermöglicht die Echtzeitkontrolle der Sequenzbelieferung durch die Mitarbeiter von Schnellecke und durch den Automobilhersteller. So haben alle Beteiligten die gleichen Informationen zur Verfügung und können auf deren Basis etwaige Engpässe oder Sequenzverletzungen handhaben bzw. präventiv verhindern.

Die finanzielle Analyse ermöglicht ein detailliertes finanzielles Controlling in Echtzeit auf den aktuellen Daten für den gesamten JIS-Logistikprozess. Hierdurch wurden die Anforderungen des Finanzbereichs von Schnellecke erfüllt.

 

Echtzeitverfolgung der JIS-Behälter

Als erste Lösung wurde das operative Dashboard implementiert. Es dient der Echtzeitverfolgung der JIS-Behälter in den Prozessschritten Transport und Line Feeding, um die Sequenzeinhaltung zu kontrollieren und Lieferengpässen vorzubeugen.

Die Zonen 1 bis 4 befinden sich auf dem Werksgelände von Schnellecke, die Zonen 4 bis 9 auf dem Gelände des Automobilherstellers. Diese sind jeweils mit Empfängern des IPS ausgestattet. Die JIS-Behälter melden sich über die IPS-Funksender in den jeweiligen Zonen an und wieder ab.

Die realisierte Anwendung zeigt die aktuelle Anzahl der JIS-Behälter in den einzelnen Zonen sowie das Bestimmungsziel der Behälter. Letzteres ist durch die Verknüpfung der IoT-Daten mit den Geschäftsdaten aus dem SJS-System möglich. In dem SJS-System ist z. B. definiert, dass ein bestimmter Behälter an die Produktionslinie ML4 geliefert werden soll. Wenn dieser Behälter dann über das IPS-System in Zone 1 (Beladung bei Schnellecke) gemeldet wird, zeigt die Anwendung den Behälter in Zone 1 mit dem Ziel Produktionslinie ML4 an. Im weiteren Verlauf wird der Behälter in der Zone Wareneingang beim Automobilhersteller und dann an der Produktionslinie ML4 auftauchen. Eine etwaige Sequenzverletzung (z. B. wenn der Behälter in Zone ML1 anstatt in Zone ML4 erscheint) ist sofort ersichtlich und kann schnellstmöglich korrigiert werden. Dafür ist die Anwendung sowohl als Desktopvariante als auch auf mobilen Endgräten verfügbar und steht sowohl den Mitarbeitern von Schnellecke als auch denen des Automobilherstellers zur Verfügung.

Die Implementierung erfolgte gemäß der SAP-Leonardo-Methodologie innerhalb von drei Monaten vom Kick-off bis zum Go-live. Dabei waren vor allem die frühzeitige Validierung der Benutzeroberflächen durch die Endanwender sowie die agile Entwicklung mit Scrum-Reviews nach jedem Sprint maßgeblich für die schnelle und reibungslose Realisierung.

 

Bewertung des Projekts

Mit der Echtzeitverfolgung von JIS-Behältern wurden wesentliche Anforderungen hinsichtlich Transparenz, Effizienz und Stabilität für das Kerngeschäft erfüllt. Dabei war, neben den genutzten SAP-Leonardo-Technologien, vor allem das methodologische Vorgehen zur frühzeitigen Einbindung der relevanten Stakeholder, Entscheider und Endnutzer entscheidend.

Für die weitere Zusammenarbeit ist die Ausweitung hin zu einem digitalen Leitstand für den gesamten JIS-Logistikprozess mit Ausrollung für internationale Kunden geplant. Dabei kann Schnellecke von den im Projekt gesammelten Erfahrungen profitieren - denn für eine erfolgreiche Digitalisierung muss jede Organisation eine Lernkurve durchlaufen, die von den neuen Technologien über deren optimalen Einsatz bis hin zur Wertschöpfung und neuartigen Geschäftsmodellen reicht.