Watson rechnet ab

Unter einem Roboter stellen sich die meisten Menschen ein Gebilde aus Metall und Elektronik vor, das Karosserieteile zusammenschweißt, Güter automatisch transportiert oder wiederkehrende monotone Aufgaben in unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen ausführt. Aber es gibt auch andere, eher unsichtbare Roboter. Sie bestehen nicht aus Metall oder Kunststoff, sondern aus Code. Die ersten Exemplare dieser Sorte haben jetzt ihre Arbeit bei Schnellecke aufgenommen.
 
RPA

„Man gewöhnt sich schnell an Sachen, die das Leben erleichtern“, lacht Joliana Hunt, die als Sachbearbeiterin Kreditoren im FSSC (Financial Shared Service Center) bei Schnellecke arbeitet. Die „Sache“, auf die sie sich bezieht, heißt Watson und ist ein Bot, ein Softwareroboter. Hunt beschreibt, was sich dadurch in ihrer Abteilung geändert hat: „Früher kam der Großteil der Rechnungen in Papierform mit der Post in der Zentrale an. Sie wurden per Hauspost in die Buchhaltung gebracht, dort händisch nach Buchungskreisen sortiert und anschließend durch Scannen der Belege in die Buchhaltungssoftware übertragen.“

Inzwischen verschicken immer mehr Firmen ihre Rechnungen digital per E-Mail an Schnellecke, insgesamt etwa 300 Stück pro Tag. Jede eingehende E-Mail wurde geöffnet, um im Anhang das Rechnungsdokument zu öffnen und den Empfänger (Buchungskreis) festzustellen. Der Buchungskreis wurde dann in die Betreff-Zeile der E-Mail eingetragen und die Mail konnte zur Übergabe an SAP weiter verschoben werden.

Und heute? Heute übernimmt Watson diese Tätigkeiten. Der Bot ist in der Lage, den Anhang einer Mail per Optical Character Recognition auszulesen und anhand der erkannten Informationen zu entscheiden, wohin die Mail verschoben werden muss. Somit kann er jede Rechnung ihrem Buchungskreis zuordnen und sie automatisch an SAP übergeben. Der gesamte Vorgang ist nun voll automatisiert.

 

Für den Menschen leicht, für den Roboter schwer

„Diese Aufgabe ist optimal für einen Softwareroboter geeignet“, sagt Marten Niebuhr, der bei Schnellecke das Competence Center RPA leitet und Watson programmiert hat. Der 31-Jährige ist vor knapp drei Jahren nach Abschluss seines Masterstudiums als Digital Trainee zu Schnellecke gekommen und hat das Innovationsprojekt RPA von Anfang an begleitet.

RPA steht für Robotic Process Automation, also die Automatisierung von Prozessen durch Software-Bots. Man braucht dazu eine passende Entwicklungsumgebung, in der man die Roboter auf bestimmte Aufgaben qualifizieren kann. „Ein Roboter kann durchaus mehrere Aufgaben bearbeiten. Jeder RPA-Bot ist in der Lage, 24/7 zu arbeiten, stößt aber irgendwann an die Grenzen seiner Kapazität“, weiß Niebuhr. „Dann muss ein zweiter Roboter dazu genommen werden.“

In mehreren Workshops wurden zunächst Prozesse identifiziert, die sich für eine solche Automatisierung eignen, bevor der Rechnungseingangsprozess als erstes Projekt definiert wurde. „Im ersten Schritt habe ich mich zunächst einmal über den zu automatisierenden Prozess informiert“, berichtet Niebuhr. „In der Fachabteilung wurde mir der Prozess vorgeführt und ein Video davon aufgenommen.“ Das Video diente ihm dann als Grundlage zur Entwicklung des Bots.

Das Programmieren des Roboters erfolgt dabei nicht direkt in einer Programmiersprache, sondern in einer Aneinanderreihung von Aktionen, die er ausführen soll und die dann in einer Programmiersprache spezifiziert werden. Das klingt einfach, aber der Teufel steckt im Detail, wie Niebuhr weiß: „Es gibt Aktionen, die sind für einen Menschen unheimlich leicht, der sieht etwas, zum Beispiel in SAP, und weiß, worum es geht. Für den Bot muss man dann eine Regel entwickeln, damit er das, was der Mensch intuitiv erkennt, auch korrekt verarbeiten kann.“

 

Gut für monotone Aufgaben

Mitarbeitende brauchen also keinen IT-Hintergrund und müssen keine Programmiersprache beherrschen, um Roboter zu bauen. „Johanna Gerstel, meine Kollegin, hat eine Ausbildung zur Speditionskauffrau gemacht. Jetzt hat sie sich in die Entwicklungsumgebung eingearbeitet und hat bereits ihren ersten eigenen Prozess automatisiert“, nennt Niebuhr ein Beispiel.

Nach der Aufnahme eines Prozesses, der durch einen Roboter übernommen werden soll, dauert es etwa fünf Tage, bis das Grundgerüst steht. Was dann Zeit kostet, ist der Feinschliff. Der Bot läuft auf einem eigenen Server, und man kann ihm sogar bei der Arbeit zusehen. Manche Prozesse laufen zwar im Hintergrund, zum Beispiel die Analyse der Anhänge, die dafür nicht geöffnet werden müssen. Arbeitet Watson hingegen in SAP, kann man ihm praktisch über die Schulter schauen und seine Aktionen verfolgen, die er allerdings deutlich schneller ausführt als seine menschlichen Kollegen.

„Entscheidend für den Erfolg von RPA ist vor allem die Akzeptanz bei unseren Kolleginnen und Kollegen“, sagt Niebuhr. „Die Roboter sollen als fleißige und zuverlässige Kollegen wahrgenommen werden. Man darf dabei nur nicht vergessen, dass sie über keinerlei menschliche Intelligenz verfügen. Stattdessen sind sie einfach sehr gut darin, monotone Aufgaben für ihre menschlichen Kollegen zu erledigen.“

 

Weitere Roboter in Entwicklung

Ein weiteres Projekt ist die sogenannte Intercompany Abstimmung. Dabei erfolgt eine Abstimmung der Forderungen und Verbindlichkeiten der einzelnen Schnellecke Firmen untereinander. Da hier ein hohes Buchungsvolumen abzustimmen ist und dies sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, erfolgt die Abstimmung zurzeit nur zweimal jährlich.

Wenn der Bot diese Aufgabe übernimmt, macht er das zukünftig jeden Monat. Das vermindert den persönlichen Abstimmungsaufwand deutlich. Der Prozess ist nicht besonders komplex, aber so umfangreich, dass auch der Roboter dafür mehrere Stunden benötigt. Deshalb ist geplant, dass er seine Arbeit immer am Wochenende verrichtet, wenn die SAP-Server nicht so ausgelastet sind. „Er kann dann in Ruhe arbeiten“, schmunzelt Niebuhr.

 

Eigenes Competence Center für Softwareroboter

Jeder Bot hat eine Reportingfunktion mit eingebaut, welche die ersparte Zeit pro Aktion registriert und aufsummiert. So lassen sich auch die KPIs einfach ermitteln. Aufgrund des enormen Potentials von RPA hat man sich bei Schnellecke entschieden, das Thema in der Organisation mit einem eigenen Competence Center zu verankern. Um auch in der Belegschaft RPA Know-how aufzubauen, werden durch das Competence Center sogenannte RPA-Scouts ausgebildet, die mit ihren neuen Kenntnissen weitere RPA-geeignete Prozesse identifizieren sollen.

Auch global wird RPA von Schnellecke vorangetrieben. Ziel ist es, im kommenden Jahr ein voll funktionsfähiges RPA-Team in Mexiko aufgebaut zu haben, welches sich dann um die Entwicklung von RPA-Bots in Mexiko und in den USA kümmern wird.

Im FSSC baut Joliana Hunt inzwischen aktiv an “ihrem” Roboter mit – und verlässt sich auf ihn. „Inzwischen fällt es auf, wenn Watson mal nicht arbeitet“, sagt sie. „Er ist jetzt ein anerkanntes Mitglied des FSSC.“